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Der Schwarze Dolch

 

„Einst waren wir, die fünf Kriegerfürsten des Großen Zirkels, des Königs beste Generäle. Land um Land eroberten wir in seinem Namen. Schließlich unterwarf sich der ganze Kontinent der Macht von König Darius und trug alsdann seinen Namen – Darien.“

„Tagebuch des Großen Zirkels“; Kuvera, Chronist; 11. Jahr im 5. Zeitalter des Drachen

 

Kapitel I: Der geheimnisvolle Kompass

Die Hafenstadt Khusra liegt nördlich des Großen Nymphensees. Weiter nordöstlich befindet sich der Wald des Schweigens, der seinen Namen der unheilvollen Stille verdankt, der man sich im Wald aussetzt. Der einzige sichere Weg aus Khusra führt über eine schmale und tiefe Schlucht, welche den Nymphensee mit dem Meer verbindet.

Die Stadt selber ist nicht wirklich spektakulär. Nur ein paar hundert Seelen bewohnen den Ort. Händler, Handwerker, ein paar Kneipen und eine alte Kaserne. Das Oberhaupt der Stadt heißt Dante und ist der skrupellose Hauptmann des derzeitigen Kaisers von Darien. Seine Garde ahndet jedes noch so kleine Vergehen mit dem Tode. Einige Jahre zuvor sorgten noch Stadtwachen für die Sicherheit und die Einhaltung der Gesetze. Als Dante dann aber die Macht übernahm, erklärte man die Miliz für „zu verweichlicht“ und ließ sie umgehend ersetzen. Für die Gesetzlosen der Stadt sollten wahrlich harte Zeiten beginnen.

Als die Nacht hereinbricht, sind die Straßen der sonst so belebten Stadt wie ausgestorben. Nur ein paar Gardisten patrouillieren durch die Straßen und bewachen Dantes angeordnete Ausgangssperre.  Die Sterne funkeln in ihrer Unendlichkeit wie die wertvollsten Juwelen, und der Mond ist ihr Schatzmeister. Im Schatten der wenigen am Straßenrand angebrachten Fackeln schleicht eine Gestalt umher, die des Hauptmanns Gesetze nicht zu fürchten scheint. Gehüllt in einem dunklen Mantel, dessen Kapuze sein Gesicht verbirgt, nähert er sich Dantes Residenz. Sie steht auf einem kleinen Hügel im Zentrum der Stadt. Früher war dies das Rathaus und für das ganze Volk jederzeit zugänglich, doch nun versperren dicke Mauern und ein gigantisches und gut bewachtes Eisentor den Weg. Ein unüberwindbares Hindernis? Nicht für einen Meisterdieb.

Der Fremde lauert hinter einem alten Karren einige Meter vor dem Tor und blickt sich um. In der Nähe der Mauer steht einer der alten Wachtürme der Stadtwache. Wegen ihrer Baufälligkeit werden sie von Obdachlosen und Landstreichern oft als Winterlager genutzt, um zumindest etwas vor der mörderischen Kälte geschützt zu sein. Jetzt im Sommer aber sind sie nur Brutstätten für Ratten und ähnliches Ungeziefer.

Lautlos arbeitet sich der Fremde an den Turm heran, immer darauf bedacht, die Wachposten nicht auf sich aufmerksam zu machen. Am Ziel angekommen presst er sich mit dem Rücken an die Wand und tast sich seitwärts zum Eingang hervor. Die gelangweilten Gardisten bemerken von allem zum Glück nichts. Sie sind wohl zu sehr damit beschäftigt, sich auf den Bein zu halten.

Endlich befindet er sich im Innern des brüchigen Wachturms. Die Eingangstür war schon vor langer Zeit zusammengebrochen. Im Erdgeschoss steht nur ein wackliger alter Hocker und ein verstaubter Schreibtisch, der wohl seit einigen Jahren nicht mehr benutzt wurde. Eine Wendeltreppe – sie war in einem nicht viel besseren Zustand als der Rest des Turms – führt nach oben in die Schlafetage der Wächter. Vorsichtig steigt der Dieb hinauf. Die Treppenstufen knarren bei jedem Schritt, als würden sie vor Schmerzen aufschreien.

Auch hier hat das Alter Einzug gehalten, doch der Staub auf den Betten und den alten Holztruhen ist nur ein knappes halbes Jahr alt, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass die Schlafstätten hin und wieder noch genutzt werden. Gegenüber den Betten führt eine weitere Tür auf den kleinen Balkon des Turms. Von dort kann man auf den kleinen Innenhof der Festung schauen. Acht Gardisten patrouillieren müde über den Hof und rechnen nicht damit, dass in nächster Zeit unerwünschter Besuch ins Innere gelangen würde. Der Fremde lächelt. Wenn der Wächter wüsste, wie sehr er sich doch irrt, wäre er wohl nur halb so gelangweilt.

Schräg gegenüber ragt ein runder Aussichtstur auf der Mauer gen Himmel. Er ist zu weit weg, als dass man einfach hinüber springen könnte, aber was ein guter Dieb ist, hat stets das passende Werkzeug im Gepäck. So löst er seinen Kletterhaken vom Gürtel, befestigt die eine Seite am Balkongeländer und schleudert den Haken hinüber zum Ausguck. Auf Anhieb bohrt er sich in die Schießscharte des Turms. Das leise Klirren das dabei entstand scheint von den unaufmerksamen Wachen nicht bemerkt worden zu sein. Genauso wenig bemerken sie, wie über ihren Köpfen jemand scheinbar mühelos auf einem Seil balanciert und auf diese Weise das Dach des ungenutzten Ausgucks erreicht.

Dort packt der Fremde seinen Haken wieder ein und öffnet die Dachluke, Im Inneren erkennt er, dass der Turm gar nicht so verlassen ist. Denn auf einer der Pritschen, die an den Wänden angebracht wurden, liegt eine weitere Wache mit einer Schnapsflasche in der Hand und schnarcht. „Was für Trantüten!“, denkt der Meisterdieb und schleicht die Treppe hinunter. Nun steht er endlich auf dem großen Platz vor der Residenz. Das Haus befindet sich auf der anderen Seite. Dazwischen gibt es kaum Möglichkeiten, sich unerkannt vorzutasten, allerdings erhielt er den zuverlässigen Hinweis auf einen geheimen unterirdischen Eingang in einem aufgegebenen Brunnen. Dieser steht in der Nähe der Stallungen in der nahen Ecke des Hofes – dort, wo gerade die Patrouille entlang läuft. Schnell geht der Dieb in die Hocke und presst sich in die abgedunkelte Nische des Aussichtsturms, den er gerade verlassen hat. Als die Gardisten wieder umkehren, erhebt er sich und schleicht mit etwas Abstand hinterher. Auf diese Weise erreicht er schließlich unerkannt den besagten Brunnen. Er führt über eine alte Leiter einige Meter in die Tiefe und endet in einer schwach beleuchteten Kanalisation. Bis dahin schein alles normal zu sein. Der Fremde folgt dem Kanal eine Zeit lang und steht schließlich vor einer gemauerten Wand. Sackgasse? Keineswegs. Denn auf der linken Seite dieser Wand gibt es einen Stein, der sich von den anderen unwesentlich unterscheidet. Er scheint etwas heller zu sein und ragt auch ein Stück aus der Wand heraus. Als er diesen Stein drückt, löst er einen Mechanismus aus, der die Wand langsam zur linken Seite gleiten lässt und einen weiteren Gang freigibt. Doch statt einem Kanal erinnert der Weg eher an einen Teil einer alten Krypta. Links und rechts des gemauerten und mit Fackeln hell erleuchteten Gangs befinden sich einige Nischen, in den verweste Skelette liegen – vermutlich gefallene Ritter und Fürsten. „Dieser Ort muss deutlich älter sein als die restliche Burg“, überlegt der Dieb, „vielleicht sogar älter als die ganze Stadt.“

Mit einem Gefühl von Unbehagen schreitet der Dieb zwischen den Totenschreinen hindurch – immer damit rechnend, dass die Skelette plötzlich zum Leben erwachen und nach seinem Leben trachten. Es war niemals eine kluge Idee, die Totenruhe zu stören, wenn man kein gewappneter Krieger oder der Magie mächtig war, und der Fremde ist weder noch, er ist ein Dieb.  Ein Dieb sichert sich sein Leben durch Geschick, Schnelligkeit und dem Reichtum anderer, nicht aber durch den Kampf. Doch, ein Auftrag ist ein Auftrag. Und diesen gilt es nun zu erfüllen.

Ein paar Schritte weiter ragt eine weitere Leiter hinauf. Die Falltür am oberen Ende führt in den Keller der Festung. Das Ziel der Mission befindet sich allerdings im zweiten Stock, und denn würde er ohne Hilfe wohl nicht erreichen.

Der Keller ist nichts anderes als ein mittelgroßer quadratischer Raum. Auf der einen Seite stapeln sich mehre Holzfässer mit Wein und Bier bis unter die hohe Decke. Gegenüber stehen große Kisten – vermutlich weitere Nahrungsmittel – nebeneinander, hintereinander und übereinander. Aufgrund der minderen Größe geht der Meisterdieb davon aus, dass es nur einer von mehreren Lagerräumen ist. Zwischen Fässern und Kisten erreicht man über den dadurch entstehenden Gang eine aufwärts führende Treppe. Doch die Tür am oberen Ende ist verschlossen.

Sorgfältig begutachtet der Fremde das Schloss. Es scheint längere Zeit nicht ausgewechselt worden zu sein, denn es ist morsch und verrostet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre es kein Problem, die Tür einfach einzutreten, doch erstens würde der damit verbundene Krach die überall in der Festung herumwuselnden Wachen aufschrecken, und zweitens ist diese Methode nicht der Stil eines Meisterdiebs. Er verlässt sich eher auf seine Fähigkeiten des Schlösserknackens und lüftet ein wenig seinen Mantel. Am Gürtel darunter sind neben einem Beutel auch einige von ihm selbst gefertigte Dietriche angebracht, die nun vom Lederriemen gelöst werden. Mit dem Ohr am Mechanismus schiebt der Gauner nun langsam einen Dietrich in die Schlossmündung und dreht ihn vorsichtig nach links und rechts. Im ersten Moment tut sich gar nichts, doch dann signalisiert ein kaum vernehmbares Klicken, dass er es geschafft hat. Die Tür ist offen.

Der Flur lässt keine weiteren Zweifel aufkommen. Der Reichtum innerhalb der Residenz ist beeindruckend. Der Parkettboden ist mit edlen blauen Teppichen belegt, die Malereinen an den Wänden erzählen die Geschichten von Dariens ruhmreichen Held und der Vernichtung all ihrer Feinde. Statt einfacher Fackeln werden die Gänge mit kleinen Kronleuchtern erhellt. Der Gauner überlegt. Da es nun Nacht ist, müssten sowohl Adlige als auch Bedienstete schlafen. Nur Dantes Soldaten würden durch das Gebäude wandern. Es heißt also weiterhin, unentdeckt zu bleiben. Es gibt allein im ersten Flur auf beiden Seiten je zwei Türen, die alle in unterschiedliche Räume führen. Da sie sich in der nähe zur Kellertür befinden, müssten dies die Kammern der Küchenmägde sein, die sich oft direkt nach dem Aufstehen im Keller einige Zutaten fürs Essen besorgen und zur Küche tragen müssen. Für die mager befüllten Geldbeuteln der armen Knechte hat der Dieb keine Verwendung. Er interessiert sich nur für das Gold des egoistischen Adels. Doch im Moment hat er eine wichtigere Mission zu erledigen, in der Gold keine tragende Rolle spielt.

Wie eine Katze bewegt er sich über den Teppich und schielt am Ende des Flurs um die Ecke. Als keine Wache in der Nähe zu sein scheint, läuft der Fremde an die Wand gepresst nach rechts in den nächsten Flur hinein. Hier gibt es nur eine Tür – vermutlich eine weitere Bedienstetenkammer. „Hier muss es sein“, erinnert sich der Dieb an einen weiteren Hinweis, einem Kontaktmann unter dem Küchenpersonal.

Vorsichtig schaut er sich um, dann gibt er ein Klopfzeichen. Tock-Tocktock-Tock-Tocktock. Er lauert. Ein paar Sekunden später die erwartete Antwort. Tocktock-Tock-Tocktock-Tock. Darauf öffnet sich die Tür einen Spalt. Der Dieb tritt in die Kammer. Innen steht ein Mann mittleren Alters. Er trägt die übliche Pagenkleidung aus einfachem braunen Leinenstoff. Das restliche Zimmer sieht so aus, wie man sich eben die Stube eines Pagen vorstellt. Es ist kaum größer als eine Arrestzelle und hat nur ein winziges Loch in der Wand, das als Fenster dient. Neben der Tür steht ein schäbiger Kleiderschrank und gegenüber ein altes Bett. „Ich bin Hoppes!“, spricht der Page, „Carlos hat mir schon berichtet, dass du kommen würdest.“